Was begründet Ihren Anspruch auf Nachhaltigkeit im Einzelnen?
Thomas Leissing: Ein Kernelement unserer Nachhaltigkeit ist das Arbeiten in geschlossenen Kreisläufen. Bei uns hat die wertvolle Ressource Holz viele Leben. Unsere Werkstoffe bestehen zu 88 Prozent aus Holz, und 65 Prozent davon stammen aus Nebenprodukten oder Recycling. Wir verwenden Holz, das auch schon im Wald ein Nebenprodukt ist. Das sind krumme Hölzer, dünne Hölzer, und der Anteil an Frischholz wird immer geringer. Der wesentliche Teil, also 65 Prozent, sind Altholz oder Nebenprodukte aus dem Sägewerk wie Sägespäne oder Hackschnitzel. Hier sorgen wir dafür, dass dieses Holz bei Verbrennung nicht gleich wieder CO2 in die Atmosphäre abgibt, sondern in unserem Kreislauf verwendet wird. Daher halten wir unsere Aktivitäten in unserer Industrie für so wichtig. Etwa, dass wir Altholz sammeln, und wir sammeln in ganz Europa, mittlerweile auch in den USA. In erster Linie binden wir dieses Altholz in unserem Prozess ein und machen daraus wieder eine Spanplatte, unsere Kunden machen daraus wieder ein neues Möbelstück. Wenn dieses Altholz für die Produktion nicht mehr verwendbar ist, nutzen wir es energetisch in unseren eigenen Biomassekraft- und heizwerken. Damit vermeiden wir, dass Gas oder Erdöl verbrannt werden muss.
Wenig Frischholz und ansonsten ‚alles alt‘. Gehört das zu Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie?
Leissing: Richtig. Wir arbeiten mit zertifizierten Entsorgungsbetrieben zusammen und sammeln auch mit eigenen Unternehmen Altholz. Ob Möbel, Bauholz, Paletten oder Verpackungsmaterial – möglichst viel altes Holz soll in die Spanplatten. Wir sammeln vor allem auch in Städten. Diese sind ein wesentlicher Rohstofflieferant für unsere Industrie. Für neue Produkte verwerten wir auch Verschnitthölzer, oder andere Produktionsreste die wir von unseren Kunden aus der Möbelindustrie zurückbekommen. Deshalb plädieren wir ganz eindeutig dafür, dass Sägespäne und Hackschnitzel nicht sofort zu Pellets verarbeitet und verbrannt werden, was das CO2 wieder freisetzt. Diese Holzreste sollen zuerst in der Spanplatte landen und erst ganz zum Schluss energetisch verwendet werden – erst dann, wenn dieses Holz nicht mehr verwertbar ist, da es schon zu oft im Kreislauf war.
Wie wollen Sie die Kreislaufwirtschaft mit Leben erfüllen?
Michael Egger jun.: Die Kreislaufwirtschaft ist uns ein ganz bedeutendes Anliegen. Dass wir diesen Anspruch auch mit Leben erfüllen, zeigt nicht zuletzt das Beispiel unserer letzten Akquisition in Italien, die Mehrheitsbeteiligung am Holzwerkstoffhersteller Saib in Caorso. Dort kommt die Nachhaltigkeit ganz groß ins Spiel. Der große italienische Spanplattenhersteller verwendet in seinem Werk bereits 100 Prozent Altholz als Rohstoff.
100 Prozent Altholz, das ist eine Hausnummer! Was bedeutet die italienische Nachhaltigkeit in der Holzbearbeitung für die Ziele der Kreislaufwirtschaft in der Egger Gruppe?
Leissing: Wir haben jetzt ein Beispiel, das zeigt, was alles machbar ist. Wir wollen die Kreislaufwirtschaft maximal ausdehnen. Das ist eine Zielsetzung, die wir schrittweise in allen unseren Märkten verfolgen. In Italien ist das ausschließliche Arbeiten mit Altholz weit verbreitet. Deshalb war die Akquisition eines bedeutenden und technologisch weit entwickelten Spanplattenwerks, ein großer Erfolg auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft. Auch von der Produktionskapazität betrachtet, zählt Caorso zu unseren größten Spanplatten-Standorten. Dieses Werk hat zwei Contiroll-Anlagen zur Produktion von Spanplatten.
Die Wirtschaft läuft derzeit in der Holzbranche im Schongang. Auch wenn die Möbelbranche bis vor kurzem durch den Cocooning-Trend einiges gewonnen hat, kann aus dem Gewonnen ein Zerronnen werden. Schrauben Sie Ihre Erwartungen in Sachen Umsatz mit Spanplatten zurück?
Leissing: Klar, …aber eine gedämpfte Umsatz- und Ergebniserwartung, bedeutet keinesfalls Trübsal blasen. Auch eine schwächere Nachfrage ist eine riesen Chance, denn am Ende ist unsere Zielsetzung, auch bei gedämpfter Nachfrage unsere Produktionskapazitäten auszulasten. Das wird uns aus guten Gründen auch gelingen: Wir haben moderne Werke, eigene Kraftwerke, und beste Servicequalität. Auch während der Corona-Pandemie waren wir für unsere Kunden stets verlässliche Partner. Wir haben eine solide finanzielle Basis, sind gut gerüstet für die Zukunft und werden weiterhin in alle unsere Werke investieren.
Stichwort Digitalisierung, wie ist der Stand in Ihren Werken?
Leissing: Digitalisierung ist übergreifend – sie ist ein Thema für all unsere 21 Werke in 11 Ländern. Wir müssen alle Informationen unserer Werke haben, damit wir sie optimal abgestimmt fahren können. Und KI bietet hier große Chancen: die Anlagen können selber lernen, was etwa die effizienteste Rezeptur sowie die besten Rüstblöcke sind. Deshalb sind all unsere Werke hoch digitalisiert, automatisiert und arbeiten in einem gemeinsamen System zusammen. Auch hier sind wir sehr innovativ.
Die beste Münze, die der Vertrieb in die Waagschale beim Kunden werfen kann, sind zunächst einmal innovative Produkte. Was tut sich hier bei Egger?
Egger: Innovation ist bei Egger ganz tief verankert. Ob in der Technologie, in der IT, in unseren Produkten, den Prozessen oder im Service – Innovation ist bei uns sehr breit gefächert. Wir betrachten dabei nicht nur Produkte, wir schauen vor allem auf Prozesse, auf die Automatisierung – und vor allem auf den Kunden. Dazu gehören alle Prozesse von der Auftrags-Erfassung bis hin zur Auslieferung. Es hilft uns viel, dass wir nicht nur in Abteilungen denken, sondern wirklich in Prozessen. Den Auftragseingang etwa verantwortet nicht der Vertrieb allein, sondern es wird der gesamte Prozess inkl. Logistik betrachtet. Über den Vertrieb kommt der Auftrag zu uns herein, aber ausgeliefert wird er dann zum Schluss über die Logistik. Diese beiden Bereiche sind viel näher aneinandergerückt, und dabei bringen uns die Prozessorientierung (und auch die KI) entscheidend nach vorne.
Sind Sie durch diese Prozessorientierung schneller und besser geworden?
Egger: Wir haben unsere Liefertermin-Treue verbessert. Dort sind wir manchmal an unsere Grenzen gestoßen – bedingt auch durch den 24-Stunden/7-Tage-Betrieb in allen unseren Werken. Wenn alle unsere Kunden auf Knopfdruck 15 Prozent mehr Ware bestellen, geht das über einen bestimmten Zeitraum gut, aber dann müssen wir mit unseren Lägern Puffer schaffen. Wenn diese allerdings einmal leer sind, können wir nur das verkaufen, was wir aktuell produzieren. Das haben auch unsere Kunden gelernt. Heute sind die Kunden vorausschauende Partner, die uns sagen, was sie in der Zukunft brauchen. Deswegen stimmen wir jede Vertriebsplanung – ob fürs Quartal oder fürs ganze Jahr – mit dem Kunden ab.
Nochmal zur Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: Ist das Anliegen, Holz nachhaltig in den Prozessen und Produkten zu verwerten, erst mit der Erkenntnis der Klimaprobleme entstanden?
Egger: Nachhaltigkeit liegt in unserer DNA. Sie wurde von meinem Großvater vorgelebt, der hier 1961 in St. Johann mit einem kleinen Spanplattenwerk den Grundstein für die Egger Group gelegt hat. Er hat damals schon überlegt, wie er die Nebenprodukte seines Sägewerks, also Hackschnitzel und Sägemehl, sinnvoll verwerten kann, ohne sie einfach zu verheizen. Und die Spanplatte ist eine nachhaltige Verwertung. Damals gab es in Österreich bereits 10 Spanplattenwerke. Der Bau eines solchen Werks war für ihn ein herausforderndes Ziel. Er hat an dieser Vision festgehalten, genau wie wir jetzt eine klar definierte Roadmap haben, wo wir noch mehr Altholz verwerten, Biomasse-Kraftwerke oder die nächsten Recycling Anlagen bauen, um die Kreislaufwirtschaft in der Egger-Gruppe weiter zu steigern. Die Decke, nach der wir uns strecken, ist der 100 Prozent Altholz-Recycling Anteil, den wir in unserem Werk in Caorso haben.
Wo liegt der Recycling-Anteil in der Egger-Group heute? Gibt es Zwischenziele?
Egger: Im letzten Jahr haben wir in St.Johann einen neuen Cleaning-Tower für Recyclingholz in Betrieb genommen und damit den Recycling Anteil in der Spanplatte von 30 auf 60 Prozent erhöht. Der Holzmix muss in der Platte immer gut ausbalanciert sein. Deshalb braucht man auch Nebenprodukte aus der Sägeindustrie, und sogenanntes Industrie-Rundholz aus dem Wald, also all das, was im Sägewerk nicht verarbeitet werden kann. Recycling und die Nutzung der Biomasse werden auch angesichts der gestiegenen Energiepreise zunehmend wichtiger. Wir sind mit unserer Region sehr eng verbunden und stellen die Abwärme unseres Biomasse-Kraftwerks auch den umliegenden Gemeinden zur Verfügung. Wir kommen hier auf einen Wirkungsgrad von über 80 Prozent. Ein alleinstehendes Biomasse Kraftwerk erreicht im Vergleich dazu den Wirkungsgrad von ca. 60 Prozent. Biomasse-Kraftwerke sind demnach auch ein Teil unserer Kreislaufstrategie.
Was gehört noch zur Recyclingstrategie?
Egger: Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Aspekt unserer Roadmap, und hier kommt die Kaskadennutzung ins Spiel. Für uns ist es ein Muss, Holz möglichst lange im Kreislauf zu halten und CO2 zu speichern. Mit jedem Span, der recycelt wird, verlängert sich der Speichereffekt. Wir können Spanplatten bis zu siebenmal wieder aufbereiten und im Zyklus halten. Dabei reden wir von der Kaskadennutzung: stofflich vor thermisch. Es genügt einfach nicht, aus dem wertvollen Rohstoff Holz Pellets zu produzieren und sie zu verfeuern. Wenn der Rohstoff einmal verbrannt ist, dauert es wieder Jahre bis er im Wald nachwächst. Nachhaltige Holznutzung ist uns ein hohes Anliegen.