Energiespeicher in Produktionsanlagen

„Wieviel Strom braucht ihr denn?“

Stationäre Energiespeicher sind ein wirkungsvolles Mittel, um Lastspitzen in der Produktion zu senken. Davon profitieren vor allem dynamische Applikationen, bei denen die Antriebe ständig beschleunigen und abbremsen müssen. Wie effektiv dieser Aufbau - konzipiert von SEW-Eurodrive - funktioniert, zeigt der Blick in die Möbelfertigung von Venjakob in Gütersloh.
Das von Kraft Maschinenbau konzipierte Portal setzt bearbeitete Holzplatten mit hoher Dynamik um. Der SEW-Antrieb ist mit
Blick auf Präzision und Steifigkeit mit einem Präzisions-Servogetriebe der Baureihe ZNBF ausgestattet. – Bild: SEW-Eurodrive GmbH & Co KG

Runter mit den Lastspitzen und mehr Erweiterungsspielraum ohne kostspielige Trafoinvestitionen. Kompakte Kondensatoreinheiten wirken wie ein Booster, die dem angeschlossenen Antriebssystem beim Beschleunigen zusätzliche Energie verabreichen. Beim Bremsen wiederum puffern sie die generatorische Energie. Auf diese Weise bleibt die Energie weitgehend im System erhalten – was letztlich dem Lastmanagement und der Energieeffizienz zugutekommt.

Da liegt sie auf dem Tisch: Die Investitionsfreigabe für eine neue Anlage. Die Spezifikation steht, der Lieferant ebenfalls. Und bei aller Euphorie und der Vorfreude auf die neue Produktionsstraße, die so schön schnell und präzise laufen soll, kommt irgendwann betreiberseitig die bange Frage in Richtung Maschinenbauer: „Wieviel Strom braucht ihr denn?“ Wenn der Trafo der eigenen Mittelspannungsversorgung bereits im oberen Drittel seiner Leistungsfähigkeit arbeitet, kann so eine Frage nach dem Energiebedarf schnell den Charakter eines Spielverderbers bekommen. Dass so eine Situation keinesfalls theoretischer Natur ist, sondern eine ganz reale Herausforderung, zeigt sich beim ostwestfälischen Möbelbauer Venjakob. Das traditionsreiche Unternehmen aus Gütersloh plante den Bau einer neuen Kantenbearbeitungsstraße in Kombination mit drei Linearportalen (XZ) mit Drehachse für das Materialhandling der Holzplatten. Mit der Investition unternimmt Venjakob einen großen Schritt weiter in Richtung Losgröße 1 und der damit einhergehenden Notwendigkeit nach Flexibilität.

Spannendes Projekt realisiert: Michael Tigges, Martin Kampe, Nils Gorges, Arthur Löwen und Josef Lieks (von links). – Bild: SEW-Eurodrive GmbH & Co KG

Automation und Handwerk geschickt verbinden

Mehr als 200 Menschen arbeiten für den 1935 gegründeten Möbelhersteller. Prägend für die Philosophie von Venjakob ist die Verknüpfung des traditionellen Manufaktur-Gedankens mit modernen Fertigungsmethoden. Es sind Handwerk, Präzision, Qualität und Liebe zum Detail aus denen bei Venjakob auf einer Produktionsfläche von 35.000m² vor allem Stühle, Ess-und Couchtische sowie Kastenmöbel für den gehobenen Möbeleinzelhandel entstehen. „In diesem Segment sind wir gut unterwegs“, sagt Josef Lieks, technischer Leiter von Venjakob.

Energiespeicher von SEW-Eurodrive

Drive Power Solution von SEW-Eurodrive setzt auf schnelle physikalische Energiespeichermodule in Form von effizienten Doppelschichtkondensatoren. Die Speichermodule sind modular aufgebaut und stehen in den unterschiedlichen Bauformen EKS oder ESS zur Verfügung. Diese werden applikationsspezifisch projektiert und als Speicherverband skaliert. Die gesamtheitliche Integration in das Antriebssystem ermöglicht ein intelligentes Energie- und Leistungsmanagement bei verschiedenen stationären und mobilen Applikationen.

Der erfolgreiche Möbelbauer differenziert sich einerseits über hochwertige Hölzer, Holzwerkstoffe und das Design in Kombination mit einer hohen Qualität. Andererseits zählen auch kurze Lieferzeiten – und dies mit einer kundenindividuellen Fertigung. Die vornehmliche Anforderung an die Kantenbearbeitungsanlage war eine kommissionsweise Abwicklung von Aufträgen. Dadurch wird es möglich, die herrschende Varianz abzubilden. Jede Holzplatte, die durch die Anlage fährt, ist mit einem Barcode versehen und einem konkreten Auftrag zugeordnet. Die Stammdaten beinhalten ferner sämtliche Bearbeitungsabläufe. Abseits der gebotenen Qualität und Flexibilität zählt für Venjakob auch die Taktzeit – was betriebswirtschaftlich gesehen wenig überrascht. Tempo ist schon allein deshalb gefragt, da jedes Teil mit seinen vier Kanten auch viermal durch die von IMA gebaute Maschine fährt. Das Ein- und Umsetzen erledigen am Beginn und Ende der Maschine Portalsysteme. Konzipiert und gebaut sind die Dreiachs-Kinematiken von Kraft Maschinenbau aus Rietberg.

Die hohe Spitzenleistung beim Beschleunigen zieht sich der Antrieb aus einem Energiespeicher. – Bild: SEW-Eurodrive GmbH & Co KG

Den Leistungshunger intelligent stillen

„Die Geschwindigkeit der Portale wird immer höher“, stellt Kraft-Projektleiter Arthur Löwen fest. Bei Venjakob arbeiten die Portale mit bis zu zwölf Takten pro Minute. Damit hat die Maschine also pro Auftrag fünf Sekunden Zeit. In dieser Zeit sind also vier Hub-Abwärtsbewegungen und zwei Fahrbewegungen notwendig. Inklusive Aufnahme und Abgabe des Werkstücks. Bei diesem knapp skizzierten Ablauf wird sofort deutlich, dass der Leistungsbedarf beim Beschleunigen enorm ist, während beim Abbremsen wiederum reichlich Energie durch den generatorischen Effekt frei wird. Dieser Zusammenhang wirkt sich umso dramatischer aus, je höher die Leistung der Antriebstechnik projektiert ist. Beim größeren der beiden Portalsysteme bringen es allein die beiden synchronisierten Servoumrichter für die Hubachse auf jeweils 45kW. Hinzu kommen jeweils 11kW für die Regler der Hub- und Drehachse. Eingesetzt sind Einachsmodule Movidrive modular aus dem Automatisierungsbaukasten Movi-C von SEW-Eurodrive.

Kraft

In mehr als 200 Jahren Firmengeschichte hat sich G. Kraft Maschinenbau GmbH als inhabergeführtes mittelständisches Unternehmen zu einem bedeutenden internationalen Sondermaschinenhersteller entwickelt. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Rietberg-Mastholte/Westfalen und beschäftigt mehr als 450 Mitarbeiter. Intelligente Produkte, hohe Flexibilität, große Kompetenz, höchste Qualität und kurze Entscheidungswege im Unternehmen bilden das Fundament für diesen Erfolg. Von der Einzelmaschine bis zur vollautomatisierten Produktionslinie: Kraft bietet seinen Kunden innovative und qualitativ hochwertige Lösungen für alle Produktionsabläufe.

Mit dem Ziel, die Lastspitzen wirksam zu begrenzen, haben die Bruchsaler Automatisierer gemeinsam mit Kraft Maschinenbau einen Energiespeicher mit Doppelschichtkondensatoren (Supercaps) projektiert. Dieser ist dafür ausgelegt, zeitlich versetzte Lastspitzen durch kurzfristiges Puffern zu glätten – mit dem Ziel, die Anschlussleistung auf das wirklich notwendige Maß zu begrenzen. Die Kondensatoren des modular erweiterbaren Speichers nehmen dafür die Bremsenergie der Motoren auf und stellen diese über den DC-Zwischenkreis den Antriebsreglern wieder zur Verfügung, wenn diese im nächsten Teiltakt erneut beschleunigen. Durch diesen Aufbau haben es Kraft und SEW geschafft, die ohne diesen Speicher notwendige netzbezogene Spitzenleistung um 90 Prozent zu senken. Das gepufferte System harmonisiert die Netzbelastung auf eine kontinuierliche Leistung von 10kW. Zyklische Schwankungen bis zu 100kW Spitze gehören der Vergangenheit an. „Wir sind von 100kW für beide Portale runter auf 10kW“, betont SEW-Applikationsingenieur Martin Kampe.

Realisiert ist der Anlagenspeicher mit zwei getrennten Installationen. Für das Portal am Auslauf des „Kantenkreislaufs“ reichte eine in den Schaltschrank integrierte Lösung aus. Sie versorgt im Wesentlichen zwei Einachsmodule Movidrive modular mit 30 und 22kW Leistung. Hinzu kommen noch Doppelachsmodule für Rollenförderer und Breitenverstellungen, die allerdings mit jeweils 1kW kaum ins Gewicht fallen. Den deutlich größeren Kondensatorverband für die mittig im Kantenkreislauf liegenden Portale hat Kraft Maschinenbau in einem separaten Schaltschrank installiert. Die Unterteilung in zwei Kreise begründet sich nicht aus energetischen Gesichtspunkten, sondern aus den Anforderungen der Steuerungsarchitektur heraus.

Auch Speicher brauchen eine passende Auslegung

Speicher ja, aber mit welcher Kapazität? Die Auslegung von Pufferspeichern gestaltet sich in der Praxis lösbar, gilt aber nicht als trivial. „Bei der Projektierung musst du schon genau hinschauen“, sagt SEW-Vertriebsingenieur Nils Gorges. Wichtige Informationen lassen sich aus der Antriebsauslegung ableiten, weitere Details steuert der Maschinenbauer aufgrund seiner Prozesserfahrung bei. „Wir brauchen einen sauberen Mittelwert für den Bedarf“, fasst Martin Kampe zusammen. Wer aus Angst überdimensioniert, gibt unverhältnismäßig viel Geld für den Speicher aus. „Gehen wir zu forsch heran und legen zu knapp aus, ist der Speicher leer, bevor der Takt zu Ende ist. Wir brauchen also den tatsächlichen Energiebedarf und Leistungsverlauf“.

Stimmt das Handwerk, passt das Möbel

Venjakob wurde 1935 vom gelernten Tischlermeister Alfons Venjakob gegründet. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm Ehefrau Josefine Venjakob die Unternehmensführung und hielt in turbulenten Zeiten „das Schiff auf Kurs“. Im Jahr 1958 trat der Sohn des Firmengründers, Siegfried Venjakob, mit in das Unternehmen ein und übernahm 1965 die Geschäftsführung. Die Philosophie blieb: Das Handwerk entscheidet! Dieses Credo wurde über viele Generationen weitergeben. Heute beschäftigt das Unternehmen mehr als 200 Menschen und fertigt auf 35.000m² Stühle und Sessel, Couch- und Esstische sowie Möbel für Wohn und- Speisezimmer.

Fazit

Für Kraft Maschinenbau war es das erste Portalsystem, das die Materialflussexperten mit einem Speicher ausgerüstet haben. Das Thema genießt nach Auskunft von Arthur Löwen unternehmensweit eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit. Die bei Venjakob gewonnenen Praxiserfahrungen zeigen, dass sich mit integrierten Energiespeichern Lastspitzen wirksam senken lassen. Damit verbunden sind sinkende Betriebskosten. Der Möbelbauer hat errechnet, dass der ROI bei rund sieben Jahren liegt. Nicht eingerechnet sind dabei allerdings die Kosten für einen Trafo, der ohne den Speicher wahrscheinlich notwendig geworden wäre. Für Nils Gorges liegen weitere Vorteile der Speichertechnik darin, dass im Vergleich zur Rückspeisung das Netz nicht mit Oberschwingungen belastet wird. Zudem sei es intelligenter und wirtschaftlicher, jede teuer bezogene Kilowattstunde so effektiv wie möglich zu nutzen – statt sie für wenige Cent zurückzuspeisen.

Autorin: Andrea Balser, Fachpressereferentin, SEW-Eurodrive

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: Julius Blum GmbH
Bild: Julius Blum GmbH
Unsichtbar im Möbel

Unsichtbar im Möbel

Je unauffälliger und platzsparender ein Beschlag ist, desto besser. Der österreichische Beschlägehersteller Blum bietet einen integrierten Hochklappenbeschlag, der sogar ganz mit dem Möbel verschmilzt: Aventos HKi integriert sich in die Korpusseitenwand.

Bild: HOLZ-HER GmbH
Bild: HOLZ-HER GmbH
Flexible Rahmen- 
und Plattenbearbeitung

Flexible Rahmen- und Plattenbearbeitung

Auf die diesjährige Holz-Handwerk hatte Holz-Her eine breite Auswahl an Maschinen mitgebracht. Ob CNC-Bearbeitung, Kantenanleimen, Zuschnitt oder Nesting – der Maschinenbauer wartete mit einem Angebot für jeden Bedarf auf. Die meisten Besucher aber fanden sich an der Epicon 7245 ein: Das neue 5-Achs-Bearbeitungszentrum ist vielseitig einsetzbar.

Bild: Leitz GmbH & Co. KG Werkzeugfabrik
Bild: Leitz GmbH & Co. KG Werkzeugfabrik
Neue Wege in die Möbelfertigung

Neue Wege in die Möbelfertigung

Wer etwas aufsetzt wie das Leitz-Symposium am 15. März in Oberkochen, der braucht einiges: beste Vernetzung mit der Holzbranche, ein Gespür für die brennenden Themen und last but not least Kontakt zu den besten Playern, die mit ihren Lösungen ein kompetentes Fachpublikum in ihren Bann ziehen können. Dem Team um Leitz-CEO Jürgen Köppel und Forschungs- und Entwicklungsleiter Andreas Kisselbach ist all das gelungen. Fazit: Die Referate waren höchstes Niveau und die Besucher begeistert.